Grenzenlos von Lübeck nach Boltenhagen
ein Projekt von Angela Radtke, Dassow
Vorstandsmitglied des Heimat-und Tourismusvereins Dassow -Tor zur Ostsee e.V. [1]
Jahrhunderte lang waren die Hansestadt Lübeck und das angrenzende Mecklenburger Land eng miteinander verbunden. Manchmal gab es auch kriegerische Auseinandersetzungen, so z.B. um den Dassower See, der auf einer von Kaiser Barbarossa 1188 unterzeichneten Urkunde der Hansestadt zugesprochen wurde. Bis zum heutigen Tag hält sich die Behauptung, diese Urkunde sei gefälscht und die reichen Hansestädter hätten sich so den See vor den Toren Dassows unberechtigter Weise ‚unter den Nagel gerissen‘. Jedenfalls ist das Gewässer seit 1188 lübsches Hoheitsgebiet.
Familiäre und freundschaftliche Verbindungen zwischen den beiden aneinander grenzenden Regionen gab es zu jeder Zeit und einen blühenden Handel ebenfalls.
Die Lage am ‚Dreiländereck‘, Hansestadt Lübeck, Ratzeburger Land in Richtung Schönberg und Mecklenburger Land an der Handelsstraße zwischen den Hansestädten Lübeck und Wismar, gelegen an der Mündung des Flüsschens Stepenitz in den Dassower See und eben dieser See mit direkter Verbindung zur Trave und damit bei Travemünde zur Ostsee, machte Dassow zu einem wichtigen Umschlagplatz für allerlei Güter, vor allem mit Holz und Getreide.
Mit Ende des schrecklichen 2. Weltkrieges besetzten die Engländer diesen Teil Norddeutschlands.
Briten und Sowjets vereinbarten im so genannten Gadebuscher Vertrag vom 13. November 1945 ein Abkommen zur Grenzbereinigung zwischen Mecklenburg und Schleswig-Holstein.
Gründe der britischen Besatzungsmacht für den Austausch der Flächen waren die schlechte Erreichbarkeit der zur britischen Besatzungszone gehörenden Flächen sowie strategische Erwägungen. Die britische Besatzungsmacht hielt dazu fest: „Das Gebiet östlich des Schaalsees ist wirtschaftlich abgeschnürt, schlecht zu erreichen und vom strategischen Gesichtspunkt her unerwünscht. In dem Gebiet Dechow und Thurow befinden sich schlechte Straßenverhältnisse, es liegt strategisch ungünstig.
Das neu hinzukommende Gebiet habe gute Straßen und liege strategisch sehr günstig. Getauscht wurden Gebiete östlich des Ratzeburger Sees und des Schaalsees. Auf diese Weise kamen die Nachbargemeinden Ratzeburgs – Ziethen, Mechow, Bäk und Römnitz – am 26.November 1945 zum Kreis Herzogtum Lauenburg und von der sowjetischen Besatzungszone zur britischen Besatzungszone. Sie gehörten zuvor zum mecklenburgischen Landkreis Schönberg, der bis 1934 Teil von Mecklenburg-Strelitz war. Im Austausch kamen die lauenburgischen Gemeinden Dechow, Groß und Klein Thurow (heute Ortsteile der Gemeinde Roggendorf) und Lassahn (heute Ortsteil der Stadt Zarrentin am Schaalsee) zur sowjetischen Besatzungszone. Das Abkommen sah vor, dass die Räumung der Gebiete am 28. November 1945 um 13 Uhr Berliner Zeit beendet sein musste.[1] Das heutige Nordwestmecklenburg gehörte fortan zur sowjetischen Besatzungszone und war nach Gründung der DDR ein Teil deren Staatsgebietes.
Die Machthaber der ehemaligen DDR sahen in der Stepenitzmündung einen möglichen Fluchtweg in den See und damit in das Hoheitsgebiet des Klassenfeindes Bundesrepublik Deutschland. Das Flüsschen wurde also durch ein vier Meter hohes Drahtgeflecht gesichert. Die Mündung der Stepenitz selbst wurde durch ins Wasser heruntergelassene Gitter versperrt. Eine Flucht über die Stepenitz in den See war damit (fast) unmöglich.1978 wurde hier dann zusätzlich eine ca. 3 km-lange Mauer als ‚Sichtschutz‘ Richtung Westen errichtet.
Jahrhundertelange Verbindungen und Handelswege waren gekappt.
Dazu kam dann noch die Tatsache, dass Dassow sogenannte Sperrzone wurde. Nach Dassow einreisen durfte man, auch als DDR – Bürger, nur mit einem Passierschein, der z.T. Wochen vorher beantragt werden musste und das Gebiet rund um den Dassower See wurde von der Nationalen Volksarmee (NVA) streng bewacht. Zum Teil tragisch endende Fluchtversuche, aber auch gelungene Fluchten gab es trotzdem immer wieder.
Die Mauer wurde ab 21.1.1990 abgebaut und die Brücke nach der Wiedervereinigung gründlich saniert. Mittlerweile fahren hier tagtäglich zehntausende Autos und Lkws über die Stepenitz, grenzenlos von Lübeck nach Boltenhagen.
Mit insgesamt 23 Gedenkstelen erinnern Initiatorin Angela Radtke und ihre Mitstreiter/innen an die Zeit von 1945 bis 1990.
Mit dem Stelenprojekt entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze soll erinnert werden an die schmerzliche Teilung Deutschlands in zwei Staaten und das Unrechtsregime der DDR.
[1] Der Verein und einige Mitglieder des Vereins sind mit verschiedenen Textbeiträgen und Fotos aus dem Vereinsarchiv aktiv an diesem Projekt beteiligt
[2] Wikipedia / Barber-Ljaschtschenko-Abkommen
Ziel des Projekts
Anregung, sich mit der Geschichte der Region auseinander zu setzen und sich über die Stelentexte hinaus weiter zu informieren, z.B. durch einen Besuch in den Grenzmuseen Schlagsdorf und Schlutup.
Initiative gegen das Vergessen der jüngsten geschichtlichen Vergangenheit.
Buchempfehlungen:
‚Über die Ostsee in die Freiheit‘ von Christine Vogt-Müller und
Bodo Müller / Verlag Delius Klasing
‚Faszination Freiheit‘ von Bodo Müller / Ch. Links-Verlag, Berlin
‚Ihr könnt doch nicht auf mich schießen‘ von Sandra Pigel-Schliemann / Landeszentrale für politische Bildung MV
‚Zwischen Stacheldraht und Strandkorb‘ von Dorion Rätzke / Boltenhagen Verlag
‚Luftfahrt auf dem Priwall und Pötenitz von Rolf Fechner / BoD Books on Demand Norderstedt
Die Zielgruppen
Besucher und Touristen, die oftmals nicht wissen, dass sie sich in einer Gegend befinden, die zu Zeiten der DDR streng bewachte Sperrzone war und was das für die Bewohner dieser Zone bedeutete.
Schüler und Jugendliche, die sich mit der jüngsten deutschen Geschichte auseinandersetzen sollen.
Einheimische gegen das Vergessen eben dieser jüngsten deutschen Geschichte.
Informationen zu allen Stelen finden Sie hier.
Oktober 2022, Hans Espenschied