Proseken
Es begann Anfang Oktober damit, dass der spätere Bürgermeister von Gägelow, Fritz Kalf, den ‚Aufruf 89‘ des neuen Forums von einer Veranstaltung in der Schweriner Paulskirche ins Pfarrhaus brachte. Auf einem einfachen Spiritus-Umdrucker wurde er vervielfältigt und in hunderten Exemplaren in Umlauf gebracht.
Am 9. Oktober fand dann in Voßkuhl, im Wohnhaus von Ehepaar Kalf, mit etwa 120 Personen die Gründung des Neuen Forums für die Hansestadt und für den Kreis Wismar statt.
Da das Haus in Voßkuhl für eine weitere Veranstaltung zu klein war, luden die Vertreter der Kirchengemeinde zu einem Friedensgottesdienst in die Prosekener Kirche zum 18. Oktober ein. Nach dem Friedensgebet sollten an dem Abend Mitglieder des Neuen Forums zu Wirt kommen und ihr Programm vorstellen.
Die Organisatoren Fritz Kalf, Franz Norbert Kröger, Ulrich Bäcker, Guntram Erdmann und Manfred Harloff rechneten mit etwa 300 Teilnehmern. Es kamen ca. 2.000 Menschen! Um 20 Uhr sollte der Gottesdienst beginnen. Um 19 Uhr war die Kirche bereits brechend voll. Die Leute saßen und standen dichtgedrängt. Schnell wurden zwei Lautsprecher für die Übertragung nach draußen installiert.
Nach der Begrüßung wurde der 126. Psalm gelesen und ein Friedenslied gesungen. Pastor Gerd Robatzek aus Boltenhagen hielt eine Ansprache, in der er auf die Bürgerrechtsbewegungen und den gewaltlosen Widerstand von Martin Luther King jr. hinwies.
Fritz Kalf vom Neuen Forum traf anschließend in seiner Kurzansprache die Stimmung der Menschen sehr gut. Er forderte die demokratischen Rechte für die Menschen in der DDR. Darunter das Recht auf freie Wahlen. Außerdem ging es um die Zulassung des Neuen Forums, Versammlungs- und Pressefreiheit, Reisefreiheit, Dialog und Offenheit auf allen Ebenen und Brechung des Machtmonopols der SED. Und als Überschrift über alles: Keine Gewalt!
Anschließend gab es eine rege Debatte, die trotz der schwierigen Situation sachlich geführt wurde. Die Forderungen des ‚Aufbruch 89 – Neues Forum‘ wurde von fast allen Anwesenden mit Beifall unterstützt.
Einer der Teilnehmer von damals erinnert sich: „Als wir danach noch im kleinen Kreis zusammen saßen, fühlten wir, dass eine große Last von uns genommen worden war. Wir haben diesen Tag wie eine Befreiung empfunden. Mit einem Mal hatten wir keine Angst mehr vor Stasi und Polizei. Es war wie ein Wunder! Wir haben am 18. Oktober 1989 erfahren, dass man ohne Gewalt und mit friedlichen Mitteln viel erreichen kann. Wir haben damals den aufrechten Gang gelernt. Es kam uns vor, wie die Erfüllung des 126. Psalms: ‚Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat großes an ihnen getan. Der Herr hat großes an uns getan; des sind wir fröhlich.‘
Literaturhinweise: 'Ihr sollt wissen, dass der Norden nicht schläft...' -86108-749-9, Zur Geschichte der 'Wende' in den drei Nordbezirken der DDR, Dr. Kai Langer, ISBN, Edition Temmen
'Wismarer Wendegeschichte', Nicole Hollatz, ISBN 978-3-940677-79-2, callidus – Verlag wissenschaftlicher Publikationen 2014
Piehl, Stutz, Parschau: „Einblicke zwischen Schaalsee und Salzhaff, Teil 4 – Geschichte und Geschichten entlang der innerdeutschen Grenze in Nordwestmecklenburg“. Herausgeber: Landkreis Nordwestmecklenburg, Kulturamt